IAML Stellenbosch Congress Diary #7: Germany

This Stellenbosch Congress Diary by Jutta Lambrecht (Westdeutscher Rundfunk, Dokumentation und Archive, Cologne) was originally written for BI-International. It appears here with kind permission.

Stellenbosch Congress programmeDer diesjährige internationale Kongress der Internationalen Vereinigung der Musikbibliotheken, -archive und -dokumentationszentren (IVMB / IAML / AIBM) fand in Stellenbosch, Südafrika, und damit zum ersten Mal in Afrika überhaupt statt. Südafrika hat keine eigene Ländergruppe, aber bereits im Jahr 2016 schlug das damalige IAML Board den südafrikanischen KollegInnen vor, einen IAML-Kongress in Stellenbosch auszurichten. Das war für 2020 geplant, aber dann kam COVID dazwischen, so daß der Congress verschoben werden mußte und erst vier Jahre später stattfinden konnte. So konnte Ellen Tise, die Leitende Direktorin der Universitätsbibliothek und des Informationsdienstes die IAML –Delegierten acht Jahre nach der ersten Idee im schönen Stellenbosch, der Eikestad oder City of Oaks, begrüßen. Ins Programm integriert waren am 27. Juni die 11. internationale Konferenz der Digitalen Bibliotheken für Musikwissenschaft (DLfM), sowie Workshops der Internationalen Vereinigung der Ton- und audiovisuellen Archive (IASA) am 25. Juni.

Der größte Teil der Veranstaltungen fand im Konservatorium statt, ein weiterer Teil in den Räumen der Universitätsbibliothek, beide Orte waren sehr zentral gelegen und konnten vom Stadtzentrum und den meisten Unterkünften zu Fuß erreicht werden. Öffentlichen Nahverkehr wie bei uns gibt es nicht. Jeder Weiße fährt selbst geringste Strecken mit dem eigenen Wagen, Alternativen bieten Uber-Fahrten, Nicht-Weiße laufen kilometerweit zu Fuß oder quetschen sich in unregelmäßig fahrende Minibusse, die sie zu ihren ärmlichen Behausungen in den Townships bringen.

Stellenbosch Konservatorium
Hauptveranstaltungort: Stellenbosch Konservatorium

Leider war der Datenschutz hier sehr groß geschrieben, sodaß es keine offizielle Kongressteilnehmerliste gab, selbst das IAML Board wußte nicht, welche Länder mit wie vielen Kongreßteilnehmern vertreten waren. Das war sehr schade, denn normalerweise bieten diese Listen eine große Hilfe beim Networking. Generell kann gesagt werden, daß die Teilnehmerzahl deutlich geringer war als in den letzten Jahren; auch aus Deutschland gab es höchstens 10 Teilnehmer. Die Programmverantwortlichen hatten diesmal keine leichte Aufgabe; bis zum Schluß wurden Referate nicht bestätigt oder wieder abgesagt, was ständige Programmänderungen und Verschieben der Sessions mit sich zog. Der überwiegende Teil der Teilnehmer kam aus afrikanischen Ländern, asiatische Länder waren diesmal gar nicht vertreten.

Vorträge und Sitzungen

Die Referate wurden überwiegend in englischer Sprache gehalten, ein paar wenige in französischer.

Das Programm war wie immer zweigeteilt:

Zum einen bot es verstärkt den afrikanischen KollegInnen die Möglichkeit, Bibliotheken, Sammlungen und Projekte ihrer Länder vorzustellen; zum anderen waren die Themen der Konferenz, wie immer, bezogen auf die spezifischen Anforderungen von Musikbibliotheken: Katalogisierung und Metadaten, Benutzererfahrung und Entwicklung von Benutzerdiensten, historische Sammlungen und Komponisten, Kirchenmusik, Radioarchive, koloniale und postkoloniale Einflüssen, digitale Sammlungen, Musik, Musikinstitutionen, Musikkodierung, indigene und Volksmusik und -instrumente, Sammlungsentwicklung, Entwicklung, Informationskompetenz und Populärkultur auf dem afrikanischen Kontinent, Einsatz von KI wurden in Plenary Sessions oder in parallelen Veranstaltungen vorgetragen bzw. in Arbeitsgruppen (weiter)erarbeitet. Auffallend war, daß das Thema „e-score“ diesmal einen sehr breiten Raum einnahm. Daneben gab es wieder die bewährten Postersessions, bei denen vorwiegend von jüngeren KollegInnen Projekte auf Stellwänden vorgestellt und Fragen dazu sofort beantwortet wurden.

Aus der Fülle der Angebote (mit teilweise drei Parallelveranstaltungen) seien nur einige wenige herausgegriffen:

Die Broadcasting and Orchestra Libraries Branch, deren Vice Chair ich bin, präsentierte in diesem Jahr eine öffentliche Veranstaltung und organisierte eine hybride Arbeitssitzung. Thozama April Maduma (University of Fort Harare, Alice) stellte das Archiv der London Tournee des African Choir vor, der Ende des 19. Jhs. eigens gegründet wurde, um Spendengelder zu acquirieren. Ich selbst hielt einen Vortrag mit dem Titel African music in the archives of the West German Broadcast (Westdeutscher Rundfunk, Köln). Dank der in den 70er Jahren sehr aktiven Volksmusikredaktion des WDR, die damals noch Feldforschungsreisen unternahm, wurden südafrikanische Musiker wie z.B. Ladysmith Black Momboza oder Princess Magogo international bekannt. Im hybriden Working Meeting (3 Teilnehmerinnen aus Italien, den Niederlanden und Deutschland vor Ort, weitere aus in Polen, Frankreich und Deutschland über Zoom) stellten französische Kolleginnen, die im letzten Jahr eine AG für Rundfunk und Orchesterbibliothekare innerhalb der französischen Branch gegründet hatten, das Ergebnis ihres Fragebogens zum Berufsbild, der Bezahlung und Zufriedenheit der französischen Orchesterbibliothekare vor. Die Anwesenden planen, den Fragebogen in modifizierter Form für eine Befragung innerhalb ihrer eigenen Länder zu übernehmen. Obwohl es in Südafrika einige professionelle Orchester gibt, ist leider keiner der Kollegen unserer Einladung zum Kongress gefolgt.

Ich moderierte zwei Sitzungen: Eine zum Thema Composer Collections and music scholars, in denen neues Quellenmaterial zu einem Werk des südafrikanischen Komponisten Arnold van Wyk (Dominic Daula; Rhodes University, Makhanda) und des südafrikanischen Konzertpianisten Lionel Charles Brown (Ingrid Gollom, Stellenbosch University) und zum U.S: Holocaust Museum (Bret Werb, US Holocaust Museum, Washington) vorgestellt wurden.

Die zweite Sitzung befasste sich mit „Popular culture on the African continent“. Pakama Sbongile Ncume (Stellenbosch University) stellte den Aufbau des Hidden Years Music Archive vor, eines der größten südafrikanischen Archive für populäre Musik, das 2013 vom Dokumentationszentrum für Musik (DOMUS) erworben wurde. Das von dem südafrikanischen Sänger und Songwriter David Marks zusammengetragene Sammlung dokumentiert die alternative Popmusik in Südafrika von 1957 bis 2005 und fängt die Essenz einer besonderen Ära in der Musikgeschichte Südafrikas ein, die einen alternativen politischen Diskurs präsentierte, der sich von dem durch die Apartheidideologie propagierten unterschied. Das Archiv entwickelt sich durch seine Sichtbarmachung allmählich zu einem der einflussreichsten Archive für das kulturelle Erbe Südafrikas. Die Sammlung erstreckt sich über fünf Jahrzehnte und umfasst mehr als sieben Tonnen Material, darunter Musik, Filme, Notizbücher und Fotos. Die Referentin kontextualisierte die Analyse von Marks' Archivierungsmethoden im Rahmen der Apartheid-Gesetzgebung und internationaler Archivierungsstandards und stellte heraus, wie historische und sozio-politische Faktoren seine Vorgehensweise bei der Archivierung und Aufbewahrung beeinflusst haben.

Amos Bishi (Harare Polytechnic, Zimbabwe), einer der diesjährigen Preisträger des Liesbeth Hoedemaeker-Cohen Fund & The H. Robert Cohen / RIPM Fund for IAML Congress Travel, erinnerte an: The forgotten sungura music heritage of the departed Zimbabwean musicians. Das Sungura-Musikgenre, eine Mischung aus traditioneller simbabwischer Musik, kongolesischer Rumba und westlicher Einflüsse wie Rock und Pop entstand in den 1950er Jahren und war einst eine dominierende Kraft in der simbabwischen Populärkultur mit zeitlosen Hits, an die sich das Publikum noch Jahre nach dem Tod ihrer Interpreten erinnert. Das reiche Erbe des Genres läuft jedoch Gefahr, in Vergessenheit zu geraten, da sich die jüngeren Generationen eher zeitgenössischen Musikformen zuwenden. Eine Studie in Zusammenarbeit mit den Familien und Freunden der verstorbenen Musiker, mit Musikproduzenten, Musikbibliothekaren, Archivaren und Experten für das Kulturerbe und zeitgenössische Musiker kam zu dem Ergebnis, dass das Sungura-Musikgenre aufgrund unzureichender Förderung und Bewahrung, mangelnder Anerkennung und Würdigung verstorbener Sungura-Musiker und fehlender Mittel für die Einrichtung digitaler Archive für das Sungura-Genre am Aussterben ist. Sie empfiehlt die angemessene Bewahrung und Förderung des Sungura-Genres, die Anerkennung und Ehrung verstorbener Sungura-Musiker sowie die die Einrichtung eines digitalen Archivs für das Sungura-Musikerbe.

University Library, Stellenbosch
Universitätsbibliothek; Lesesäle und Arbeitsräume befinden sich unterirdisch.

In der RIPM (Répertoire International de la Presse Musicale) Session gab Clorinda Panebianco (University of Pretoria) A brief overview of South African music journals since 1854 mit Einblicken in die Entwicklung musikalischer Aktivitäten und kultureller Entwicklungen im Laufe der letzten 170 Jahre. Benjamin Knysak (RIPM, Baltimore) zeigte in seinem Referat Fires of our heartbeats, welchen Niederschlag der südafrikanische Jazz in der internationalen Jazzpresse fand.

Interessant auch ein Deutsch-Südafrikanisches Projekt: Jürgen May, Inge Engelbrecht, Anke Froehlich (Stellenbosch University): The Genadendal Music Archive (GMA): A Challenging Affair. Das GMA, ein am Africa Open Institute for Music, Research and Innovation an der Stellenbosch University angesiedeltes Projekt, widmet sich der Katalogisierung und Digitalisierung der Musiksammlung des Genadendal Museums. Genadendal, eine Gründung der Herrnhuter Brüdergemeinde, war die erste Missionsstation im südlichen Afrika (1738). Bereits in der Planungsphase wurde das Projekt 2018 von Jürgen May beim IAML-Kongress in Leipzig vorgestellt; 2020 konnte es dank der Förderung aus dem Kulturerhaltprogramm des Auswärtigen Amtes und dem Strategic Fund der Stellenbosch University begonnen werden. Der Beitrag setzte sich unter Berücksichtigung der verschiedenen kulturellen und bildungsmäßigen Voraussetzungen der Projektmitarbeiter, die ihre jeweils individuelle Sicht auf das GMA-Projekt geprägt haben, aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit für MusikbibliothekarInnen relevanten Fragen, wie Katalogisierung und Klassifizierung, Archivaufbau, öffentliches Engagement und musikwissenschaftliche Forschung, in produktiver und anregender Weise auseinander.

Bibliothek des Konservatoriums
Bibliothek des Konservatoriums

Rahmenprogramm

Neben der grandiosen Eröffnungszeremonie mit traditioneller afrikanischer Musik gab es an drei weiteren Abenden Konzerte mit traditioneller Musik, mit zeitgenössischer Kammermusik und mit Orgelmusik zu einem Stummfilm aus den Zwanziger Jahren. Der Mittwochnachmittag war wie immer Exkursionen in die nähere oder weitere Umgebung vorbehalten, darunter zu verschiedenen Weingütern.

Den Abschluss des Kongresses bildete das Farewell Dinner im Lanzerac Wine Estate. Das die südafrikanischen Wintertemperaturen tagsüber unseren damaligen Sommertemperaturen entsprachen, konnten wir zumindest den Aperitif im schönen Garten einnehmen. Den musikalischen Rahmen bildete das Duo „Just Friends“ mit Ghoema und Cape Jazz, ein gelungener Abschluss eines gelungenen Kongresses, für den sich alle mit tosendem Applaus bei den OrganisatorInnen bedankten.

Fazit

Auch 30 Jahre nach dem Ende der Apartheid und der Einführung eines demokratischen Regierungssystems ist es erschreckend zu sehen, wie groß noch immer die sozialen Unterschiede zwischen der weißen und der nicht weißen Bevölkerung, zwischen ganz reich und bettelarm, sind. Die Weißen leben doppelt und dreifach abgesichert mit Stacheldraht, Alarm- und Selbstschußanlagen und Überwachungskameras in ihren meist stattlichen Anwesen. Die Kriminalitätsrate ist sehr hoch, und das wird vermutlich auch viele Kolleginnen abgehalten haben, den Kongreß zu besuchen. Auch ich hatte länger gezögert, ob ich wirklich die lange Anreise auf mich nehmen sollte, bin aber im Nachhinein froh, daß ich mich dazu durchgerungen habe. Im Umfeld meiner Teilnahme am IAML-Kongress in Stellenbosch kam es zusätzlich zum offiziellen Programm zu vielen interessanten und bereichernden Begegnungen. Ich danke daher BI-International und dem Goetheinstitut sehr für die großzügige finanzielle Unterstützung, ohne die ich meine Kongressteilnahme hätte komplett selber finanzieren müssen.

Dr. Jutta Lambrecht
Leiterin des WDR-Notenarchivs
31.07.2024
Alle Photos ©Jennifer Ward

Weiterführende Informationen:
https://iaml2024.sun.ac.za/ (Kongress-Webseite)
Vollständiges Programm und eine Auswahl der Abstracts
Flickr (Kongress-Photoalbum)

Translate

English French German Italian Portuguese Russian Spanish